Die meisten Autos bleiben ungeküsst, aber manche sind nah dran. An der Tankstelle streichelt ein junger Mann zärtlich über die Rundungen des Caterham und redet in einer Sprache auf den Fahrer ein, die wir aus dem Balkan vermuten. Daumen hoch und freundliche Gesichter, das kennt er, denn sein Vehikel sieht knuffig aus wie eine Kreuzung aus Oldtimer und Rennwagen.
Wenn aus der Zuneigung keine Liebe wird, könnte das daran liegen, dass der Mensch davorsteht und nicht weiß, wie er hineinkommen kann. Mit montiertem Verdeck muss ein Schlitz von 40 Zentimeter Höhe reichen, durch den er sich zusammenfaltet. Kurt Hoffmann, der den Caterham importiert, kennt den Knick: rechtes Bein in die Röhre, Hintern neben der Bordwand bis fast auf den Boden - da landet er am Ende ohnehin. Dann den Kopf hineingefädelt, Allerwertesten nachplumpsen lassen und irgendwie das linke Bein hinterherziehen. Kann bis eins fünfundachzig klappen. Warum hat das Ding denn Schalensitze, links klemmt die Wand und rechts der Mitteltunnel? Den Ellenbogen heraushängen zu lassen ist auch nicht zu empfehlen, er könnte am Boden schleifen. Während also alles irgendwie in die Aluhülle gequetscht wird, erzählt Hoffmann, dass der Caterham mit dem Defender von Land Rover viel gemeinsam hat.
Mit dem Landy? Ja, sagt er, früher habe er Land Rover verkauft. Beide sind von der Insel. Sie bestehen aus Aluplatten, die von Nieten zusammengehalten werden, die Sitzposition ist grausam. Als Gebrauchtwagen sind sie entsetzlich teuer, und beide braucht hierzulande kein Mensch. Sagt er. Aber beide machen eine Menge Spaß, jeder auf seine Weise. 122 PS im Dicken, 131 im neuen Caterham 275 aus einem 1,6-Liter Motor vom Ford Sigma. Das klingt nach gerade ausreichenden Fahrleistungen und langweiliger Familienkutsche. Die braucht freilich kein Lenkrad von der Größe eines Desserttellers und drei Zentimeter Schaltweg.
Der Caterham ist in diversen Generationen der Nachfolger des Lotus Seven. Dessen Erfinder Colin Chapman folgte Ende der fünfziger Jahre der Philosophie, alles wegzulassen, was nicht unbedingt gebraucht wird, den Rest so leicht wie möglich zu bauen und seinem Rennwagen für die Straße dann einen Allerweltsmotor einzupflanzen. Lotus beendete 1972 die Herstellung des Seven, der Händler Graham Nearn kaufte die Rechte und baute das Auto unter dem Namen Caterham Seven nach dem gleichen Grundsatz weiter. Dessen Liebhaber sind in einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen, sie treffen sich an Rennstrecken. Seit vier Jahren gehört Caterham dem malayischen Unternehmer Tony Fernandes, der sich bis zum vergangenen Jahr in der Formel 1 versucht hat, wenngleich ohne Erfolg.
Die Caterhams mit Straßenzulassung sind davon unberührt, das von uns gefahrene Exemplar kann sogar als Komfortvariante durchgehen - etwas länger, mit einer Windschutzscheibe, Wabbeltüren, Schlechtwetterverdeck und kleinem Kofferraum, in dem es sich verstauen lässt. Zubehör für Warmduscher, es gibt ihn auch ohne solchen Schnickschnack. Fahrbereit wiegt der 275 nur 540 Kilogramm, also weniger als ein Drittel des Defender. Oder andersherum: Jener müsste gut 400 PS haben, um ähnlich flott voranzukommen.
Der Caterham ist die Fangschrecke unter den Sportwagen. Er lauert mit unschuldigem Blick aus seinen großen runden Augen darauf, die Straßen zu erobern. Mit einem Röhren startet der Vierzylinder - Anfänger müssen erst das Zündschloss finden, der Leerlauf kann sich nicht zwischen 800 und 1000/min entscheiden. Dann angefahren, schon steht er wieder. Alles ist an diesem Auto klein, die fingerlangen Scheibenwischer, die lustig im Wind flattern, die Pedale und halt auch deren Weg - ein gefühlter Zentimeter, schon beißt die Kupplung zu und will die Fuhre nach vorn reißen. Fünf Sekunden später ist Landstraßentempo erreicht. Auf der Autobahn geht es munter bis 196, falls die Lust reicht.
Ein Vergnügen ist das nicht, das Planenverdeck rattert und schlägt. Also ab auf geschwungenen Landstraßen. Kurve anpeilen, herrlich die freistehenden Räder, die über Unebenheiten hüpfen, von denen zuvor niemand wusste, dass sie da sind. Geradeaus peilt der Fahrer durch die zwei Fühler. ?Konzentrier dich?, raunt es in seinem Kopf, ?ein sauberer Strich, und ich sause mit dir, wohin Du willst.? Ein Servo, das die Beziehung der Lenkung zur Fahrbahn dämpfen könnte, gibt es nicht. Wir legen uns fest: Kein anderes Auto huscht auch nur annähernd so leichtfüßig um die Ecken. Noch mal: keines. Selbst wenn es einen größeren sechsstelligen Betrag kostet.
Quietscht, brummt und scheppert Der Fahrspaß wird auch sonst durch keinerlei Elektronik oder andere Hilfen getrübt. Bremsunterstützung? Das Servo sitzt in der rechten Wade. Traktionskontrolle und ESP? Wenn es nass ist, lässt man ihn besser stehen. Navigationsgerät? Der Caterham folgt den Spurrillen. Uhr? Ein Seven ist zeitlos. Radio? Das Auto macht seinen eigenen Krach. Die ungedämmte Aluröhre quietscht, brummt und scheppert in allen Tonlagen, was wir für Gebrüll aus der seitlichen Auspuffwurst hielten, dröhnt in Wahrheit im Resonanzkörper, der als Fahrgastzelle dient. Tatsächlich gehört der Caterham zu den wenigen Fahrzeugen, die innen lauter sind als außen.
Wer ihn fährt, riskiert nicht nur sein Gehör, sondern auch sein Augenlicht. Kleine Steinchen verlassen die freistehenden Vorderräder mit erstaunlicher Vitesse und sammeln sich auf dem nicht verstellbaren Schalensitz oder im Gesicht des Beifahrers, wenn der sich zu weit hinauslehnt. Er wird zugleich gegart: Heiße Luft entströmt dem Auspuff und befördert die Backofenstimmung in der ungedämmten Aluröhre. Ein Stau auf der Autobahn oder Stadtverkehr bringt den Caterham-Piloten an seine Grenzen. Er kommt sich klein vor. 80 Zentimeter hoch nur ist der Rand der Scheibe, die Nase endet am Auspuff des Lastwagens. Lass den dann mal mit einer Rußwolke starten. Kurzum: Kein zulassungsfähiges Auto ist weniger alltagstauglich als ein Caterham.
Mit Tempo 80 durch die Gegend bummeln Schön wird?s dann wieder draußen. Verdeck runter, Flattertüren ab. Nach ein paar sportlichen Runden durch den Taunus kehrt innere Ruhe ein. Schön zu wissen: Der Caterham kann auch mit Tempo 80 durch die Gegend bummeln, während der Fahrer den Fahrtwind genießt. Da ist er wieder, der Oldie, das zweite Gesicht der Rennsemmel. Je länger wir ihn fahren, desto mehr mögen wir das.
Womit wir beim großen Bruder wären, der seinen eigenen Charakter hat. Dabei ist der 485 nicht größer oder gar schwerer, sondern einfach nur stärker. Unter der langen Nase faucht ein Motor von Ford, der aus zwei Liter Hubraum 240 PS bei 8500/min holt. Da wir inzwischen rechnen können, erfüllt uns das mit Ehrfurcht: ein Porsche 911 GT3 RS ist zwar mehr als doppelt so stark, wiegt aber fast das Dreifache und wird notfalls durch Elektronik gezügelt. Die feuchten Hände kommen vielleicht doch nicht nur von den Sommertemperaturen, also Handschuhe anziehen. Das gleiche Einstiegs-Origami, aber Hosenträgergurte, deren Enden sich beständig irgendwo verklemmen.
Innen und außen Carbon, die Karosse nicht blau, sondern Alu natur. Und statt der Kipphebel aus den Siebzigern für den Blinker gibt es ein paar übers Armaturenbrett verstreute Druckknöpfe. Auf einem steht ?Sport?, dazu kommen wir noch. Starten für Eingeweihte: einmal kurz auf den Knopf, Bereitschaft. Dann lang, das Aggregat erwacht. Irgendwie ist jetzt der Ton enttäuschend - metallisches Scheppern aus der Zwergenwerkstatt statt des erwarteten Tigers. Gestartet wird mit nur 170 PS, so ganz ohne Elektronik ist der also doch nicht. Ein Druck auf ?Sport? weckt dann die Großkatze, auf die Straße mit Gebrüll, friss sie.
Teufel auf der linken Schulter Was dann kommt, ist Irrsinn. Standardbeschleunigung auf 100 irgendwas zwischen drei und vier Sekunden, je nachdem, wie lang der Streifen ist, den die Reifen hinterlassen. Da wurde dann bei 9000 Umdrehungen gerade der zweite von fünf Gängen hineingehämmert. Garstiges Kreischen, das Heck schwänzelt. Es riecht nach Schwefel und Feuerstein, das muss der Teufel auf der linken Schulter sein, der ständig lockt: ?Gib Gummi!?. Obacht, wer in Kurven die Leistung brutal abruft, läuft Gefahr, vom eigenen Heck überholt zu werden.
Leute mit Gefühl können den Caterham mit einem Zucken am Lenkrad wieder einfangen; ob das auch für die kürzere Version gilt, wissen wir nicht. Auf der leeren Autobahn treiben wir ihn weiter, bretthart zieht der 485 unvermindert voran. Tempo 120: Hinter dem Scheibchen bläst es deftig. Tempo 160: Der Wind zaust Kragen und Haare. Spätestens jetzt sind die Verwirbelungen lauter als der Motor. Tempo 200: Die Brille wird von der Nase gezerrt. Kurzfristig erreichen wir 220, den Kopf auch nur einen Hauch zu drehen, trauen wir uns nicht mehr. Schneller ginge es vielleicht mit dem geschlossenen Verdeck, das hat unserer nicht, und der Stofffetzen als Bikinitop taugt dazu nicht.
Im Modus ?Sport? geht es etwas besser Auf der Landstraße reicht die Orgie genau bis zum Vordermann, der ist viel schneller erreicht als gewünscht. In der Stadt haben wir auf ? Sport? verzichtet, das Spratzeln und Bollern beim Gaswegnehmen ist zu peinlich. Nur dass er dann gern ruckelt. Im Modus ?Sport? geht es etwas besser, aber auch dann mag der 485 niedrige Drehzahlen nicht.
Der starke Caterham ist eine Art Superbike mit vier Rädern, jene sind freilich elektronisch befriedet. Vor dem Kauf bei Hoffmann einen Schleuderkurs zu buchen ist deshalb keine schlechte Idee. Sein kleiner Bruder ist jenseits der Rennstrecke kaum langsamer, macht ebenso Spaß und ist viel umgänglicher. Obendrein kostet er deutlich weniger: Die Preise für den 485 beginnen bei rund 55000 Euro, der 275 ist schon ab 36 000 zu haben und rundum die vernünftigere Wahl. Aber was ist an solch einem Auto schon vernünftig?
Ach ja, fast hätten wir?s vergessen, wenn der Tank mit seinen 37 Liter Inhalt nicht so klein wäre: Benzin verbraucht er auch. Der große schluckte knapp 10 Liter, der kleine kommt mit zwei weniger aus. Unser 485 ist ein Jahr alt mit 6000 Kilometer auf der Uhr, Hoffmann bietet ihn als Gebrauchtwagen an. Warum der Vorbesitzer ihn verkauft hat? Er fährt jetzt einen Defender.